„Olgas Raum“

von Dea Loher

„Olgas Raum“ ist das erste Bühnenstück von Dea Loher, das sie 1991 nach einem einjährigen Aufenthalt in Brasilien schrieb und für das sie im selben Jahr den Dramatikerpreis der Hamburger Volksbühne erhielt. Loher zählt heute zu den meist gespielten Bühnenautorinnen unserer Zeit und erhielt vielfältige Auszeichnungen, wie den Mühlheimer Dramatikerpreis und den Jakob-Michael-Reinhold-Lenz-Preis. Dea Loher ist die amtierende Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim in Frankfurt – es ist der renommierteste Stadtschreiberpreis im deutschsprachigen Raum.

Mit „Olgas Raum“ tastet sich die Autorin Dea Loher an die deutsche Frauenfigur der Olga Benario (1908 – 1942) heran, die sowohl kommunistische Ikone, als auch Mutter, Geliebte, Kameradin, politische Intellektuelle und Revolutionärin war und heute u.a. in Brasilien und im ostdeutschen Raum noch ist. Olga Benario ist eine Ikone der politischen Linken. Zur Erinnerung an  Benario wurden u.a. in der DDR viele Schulen, Kindergärten und Straßen nach ihr benannt.

„Ich spreche mit mir selbst, um nicht verrückt zu werden. Ich zeige mir Bilder, erzähle mir Geschichten. Hier im Kopf sitzt mein Erinnerungsalbum. Sich jeden Tag an ein Ereignis erinnern und es genau rekonstruieren.“ (Olgas Raum, Dea Loher)

Die halbjüdische Kommunistin Olga Benario befindet sich im Frauen-KZ Ravensbrück, es ist 1942 und der 2. Weltkrieg tobt. Benario rückerinnert sich an ihre Vergangenheit als inhaftierte kommunistische Revolutionärin im brasilianischen Gefängnis. Die Revolution, für die sie 1935 gemeinsam mit dem Anführer Luís Carlos Prestes gegen Diktator Vargas kämpfte, war gescheitert. Revolutionsführer Prestes trug in seinem Land den Namen „Ritter der Hoffnung“. Die Hoffnung wurde zerschlagen, beide wurden inhaftiert. Doch sie bildeten nicht nur eine politische Doppelspitze, bei ihrer gemeinsamen brasilianischen Mission waren sie ein Liebespaar geworden.

„Olgas Raum“ untersucht die widersprüchliche Beziehung zwischen Olga Benario zu ihrem Folterer Filinto Müller - einem Polizeichef Brasiliens (Rio de Janeiro) - und zu ihren Mitgefangenen in der Gefängniszelle: Ana Libre und Genny. Es zeigt, wie Olga Benario ihre Kraftpotenziale mobilisiert, um zu überleben und scheinbar ausweglosen Situationen ungebrochen ihre Stirn bietet. Olga erleidet Realitätsdiffusionen als Folge der erlittenen Folter. Um zu überleben versucht Olga, ihre eigene Biografie als „Landkarte ihrer Identität“ wiederherzustellen, da sie immer wieder in Gefahr schwebt, diese zu verlieren. Denn in ihrer Vergangenheit als frei agierende Revolutionärin musste sie permanent untertauchen, täuschen und tarnen und in den Zellen als inhaftierte politische Gefangene jahrelang physische und psychische Folter erleiden. Benarios Persönlichkeit wird in „Olgas Raum“ aus drei unterschiedlichen Perspektiven dargestellt: als Revolutionärin in einem sozialromantischen Heldenepos, als intellektuell hochpolitische Kämpferin und schließlich als Frau und Geliebte.

Das Thema Folter rückt derzeit stark in den Fokus der gesellschaftlichen und medialen Aufmerksamkeit. Die jüngst veröffentlichten Berichte der CIA zur Folter in US-Amerikanischen Gefängnissen wie Guantánamo, die öffentliche Auspeitschung eines saudi-arabischen Bloggers, schreckliche Bilder durch IS-Attentate und Morde, die Entgleisungen von Wachpersonal gegenüber traumatisierte Flüchtlingen in deutschen Flüchtlingsheimen sind nur einige Schauplätze, an denen gezielt physische und körperliche Gewalt an Menschen ausgeübt wird, um ihnen Informationen abzupressen oder sie zu bestrafen. Besonders Frauen sind vor allem auch sexualisierter Folter ausgesetzt.

Premiere: 19. März 2015 um 20 Uhr im Gallus Theater
Aufführungsrechte beim Verlag der Autoren, Frankfurt am Main

Das Projekt wurde vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert

Besetzung

Olga Benario
Genny
Ana Libre
Filinto Müller

Birte Hebold
Naja Marie Domsel
Jule Richter
Tino Leo

Regie
Bühne + Kostüme
Licht
 
Sound + Fotos
Dramaturgie / Layouts
PR
Regiehospitant/ Technischer Ass.

Regina Busch
Johanne Schröder
Jan Hartmann,
Thomas Wortmann
Frank Marheineke
Agnes Meyer-Wilmes
Dörthe Krohn
Jan Höft

Zu Olga Benario

Olga Benario wurde 1908 in München geboren und stammt aus gutbürgerlichen Verhältnissen – ihr Vater, ein überzeugter Sozialdemokrat, der auch mittellosen Familien rechtlich unterstützte – war ein angesehener Rechtsanwalt in München und politisch aktiv. Sie ging 1925 bereits im jungen Alter von 17 Jahren mit ihrem Geliebten Otto Braun, einem Kommunisten, nach Berlin, wo sie der Kommunistischen Jugend Neukölln beitrat. Beide wurden schließlich aufgrund ihrer politischen Aktivitäten wegen „Landesverrat“ verhaftet. Benarios Vater erwirkte die Freilassung seiner Tochter, Braun blieb in Untersuchungshaft. In einer spektakulären und Aufsehen erregenden Befreiungsaktion, die Benario organisierte und durch führte, befreite sie Braun auf dem Weg zur Gerichtsverhandlung, sie mussten fliehen. Seit 1928 in Moskau im Exil, trennte sie sich von Braun und wurde zu einer der führenden kommunistischen Kämpferinnen des kommunistischen Widerstandes ausgebildet.
 
1934 wurde Olga Benario als Personenschützerin des früheren Hauptmanns der Brasilianischen Armee nach Brasilien geschickt, um dort die Revolution vorzubereiten. Auf der Reise als „portugiesisches Ehepaar in den Flitterwochen“ nach Rio de Janeiro getarnt, teilte sie bald mit Prestes das Bett. Nach einem im Jahre 1935 von Moskau aus gesteuerten und  beide angeführten Putschversuch gegen den Diktator Getúlio Dornelles Vargas von Brasilien, der scheiterte, tauchte Sie mit ihrem Partner Luís Carlos Prestes - Anführer dieser revolutionären kommunistischen Gruppe - in Brasilien unter. Nach einigen Monaten wurden sie verraten und verhaftet.
 
Olga Benario lieferte der brasilianische Staat 1936 an das nationalsozialistische Deutschland aus. Eingesperrt im Frauengefängnis Barnimstraße in Berlin brachte sie am 27. November 1936 ihre Tochter Anita Leocádia Prestes  zur Welt. Bis zum Januar 1938 blieb das Kind bei der Mutter im Gefängnis. Da Luís Carlos Prestes die Vaterschaft bestätigte, übergab die Gestapo Anita im Jahr 1938 der Großmutter Leocadia Prestes. Olga Benario selbst wurde im Februar 1938 in das KZ Lichtenburg gebracht. 1939 verlegte man sie in das KZ Ravensbrück und die dortige Häftlingslagerleitung bestimmte sie zur Blockältesten im Judenblock. Prestes' Mutter erwirkte Papiere zur Ausreise Benarios nach Mexiko, die aber wegen des Kriegsbeginns 1938 von London aus nicht mehr zugestellt werden konnten.
 
Olga Benario wurde 1942 im Frauenkonzentrations­lager Ravensbrück in der Tötungsanstalt Bernburg vergast. Ihre Mutter starb 1943 im KZ Theresienstadt. Ihr Bruder Otto Benario wurde am 28. September 1944 im Ausschwitz ermordet.

Das Projekt wurde gefördert von:

Diesess Projekt der Dädalus Company wurde gefördert von: Amnesty International
Diesess Projekt der Dädalus Company wurde gefördert von: Analog Mastering
Diesess Projekt der Dädalus Company wurde gefördert von: Frauen Referat Frankfurt
Diesess Projekt der Dädalus Company wurde gefördert von: Gallus Theater
Diesess Projekt der Dädalus Company wurde gefördert von: Kulturamt der Stadt Frankfurt
Diesess Projekt der Dädalus Company wurde gefördert von: Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst
Diesess Projekt der Dädalus Company wurde gefördert von: Frankfurter Sparkasse

Fotogalerie

Alle Fotos von Frank Marheineke

In der Presse

(aus rechtlichen Gründen immer nur ausschnittweise)

Frankfurter Neue Presse am 21. März 2015

„Die Besetzung des Stückes über politischen Kampf und Folter bot konzentrierte professionelle Leistungen, und Regisseurin Busch ließ Sprache und Drama effektvoll für sich arbeiten. (...) Zu den stärksten Partien gehören die Spielchen zwischen Olga und dem Verräter Filinto, den das Foltern auf seine Art gleichfalls verzehrt. Das Stück lohnt den Besuch sehr."

Autor Marcus Hladek

Frankfurter Rundschau, 23. März 2015

„Eine diskrete Angelegenheit ist dieser Abend. Mit einer klar strukturierten Dramaturgie der Lichtstimmungen und unheilvoll schwelenden elektronischen Sounds zwischen den Bildern. Es gelingt der Regisseurin, eine Atmosphäre vielsagender Andeutung zu schaffen, in einer dienlichen formalen Strenge."

Autor Stefan Michalzik

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Rundschau GmbH, Frankfurt.

Artikel in fr-online.de

Der Bergen-Enkheimer, 26. März 2015:

„(...) Lohers Texte gehen unter die Haut, weil sie nichts unausgesprochen lassen, weil sie menschliche Brutalität und Gewaltbereitschaft ungeschminkt im nüchternen Berichtsstil aufzeigen, was den Schrecken noch erhöht. Die Leistung des professionellen Ensembles war großartig, die jungen Darsteller überzeugten durch ihr intensives Spiel und zogen das Publikum durch direkten Blickkontakt in ihren Bann. Begeisterter Applaus.“

Autorin Karoline Ohlmeier

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. April 2015

"Das Stück vermeidet die Ambition, die Extreme der Haft abzubilden, es will die Ausnahmesituation spürbar machen. Das beginnt mit der schrägen Wand, an der die Protagonisten einen Teil ihres Gleichgewichts abgeben. Das setzt sich fort mit der Isolation, die ein durchaus gefährliches Redebedürfnis auslöst. Und das wird gesteigert im extremen Lichtwechsel aus klaustrophoibischer Dunkelheit und kaltem Blendlicht. Wie weit psychischer und körperlicher Druck bis zur Kapitulation gesteigert werden können, das erspart die Regie der Heldin und dem Publikum."

Autor Jürgen Richter

Strandgut, das Kulturmagazin, Mai 2015:

"Man meint, bei dem von vielen Monologen wie Säulen getragenen Stück einer griechischen Tragödie beizuwohnen. Eine blassgrüne Bande, wie man das vom Eishockey kennt, durchzieht leicht schräg die leere Parkettbühne des Gallus-Theaters. Vor dieser Bande müssen wir uns »Olgas Raum« denken (...) Hinter der Bande, leicht erhöht und schwierig zu ersteigen, beginnt das Reich der Willkür und Wissbegier Flinto Müllers, das Reich des Grauens und der Gräuel, die aber weder Lohers Text noch Buschs Umsetzung auszumalen mühen. Dunkel und düster, nur von gleißendem Verhörscheinwerfern schmerzvoll durchbrochen, spürt man die virulente Gewalt und psychischen Strapazen der Insassinnen zur Genüge (...) Man ist berührt und fassungslos."

Autor Winnie Geipert