Messer in Hennen

David Harrower

Ein Dorf irgendwo in Schottland, hier scheint die Welt noch in Ordnung. Es herrschen klare Regeln, alles geschieht im Glauben zu Gott, Aberglaube und Mystizismus sind fester Bestandteil des dörflichen Zusammenhalts. Kein Ort für Fragen, denn die Antworten stehen fest. Das Leben dient dem Überleben, Gefühle haben hier keinen Platz.

Pony-William, wie er von allen im Dorf genannt wird, pflügt die Felder. So ist es vorgesehen, alles hat hier seine Ordnung. Williams Hof liegt außerhalb des Dorfes und die Abgeschiedenheit teilt er mit seiner jungen Frau. Auch sie, die er nur „Frau“ nennt, ist zufrieden. Es gibt jeden Tag zu Essen. Alles ist, wie es sein soll.
Eines Tages schickt William seine junge Frau zum Müller Gilbert an den Fluss, um Korn malen zu lassen. Für die Dorfgemeinschaft ist Gilbert der Andere, der Außenseiter, die Gefahr des Fremden. Und auch William bläut seiner Frau ein: »Was du brauchst, ist Hass. Auf ihn. Das ist es, was er erwartet. In jedem Knochen, den du im Leib hast. Hass. Ist so Brauch im Dorf.«

Doch Hass wandelt sich in Faszination, über ihre Angst siegt die Neugier. Und das Schreiben, das sie vom Müller lernt, weist ihr den Weg in eine neue Welt: Ihr Wissensdurst wird zur Waffe gegen die eigene lähmende Schicksalsergebenheit.

Litag Verlag München

Ensemble

Junge Frau
Pony-William
Gilbert Horn
Maja Müller-Bula
Hendrik Pape
Christoph Stein 
Regie
Sound
Ausstattung
Licht
Dramaturgie + Produktion
Grafikdesign
Fotos + Trailer
Regina Busch
Niels Lanz
Britta Yook
Jan Hartmann
Lynnette Polcyn
Maythe Stavermann
Denis Carbone

Konzept

Der Ort ohne Namen in dem Stück „Messer in Hennen" erweckt den Eindruck, sich irgendwo und überall befinden zu können. Vielmehr steht er für eine Lebenssituation geprägt von Stillstand und einer undurchdringlichen Geschlossenheit, die selbst für den Leser des Stückes spürbar ist.
Die junge Ehefrau von Pony-William, dem Feldpflüger des Dorfes, wird nie bei ihrem Namen genannt, auch nicht von ihrem Mann William. Alles, was den Ablauf des Alltags bestimmt, ist festgelegt und unverrückbar. Das Leben unterliegt dieser festen Ordnung und nichts ist dem Zufall überlassen.

William behandelt seine Frau wie ein Möbelstück, das er hin und her schiebt, um sie die täglichen notwendigen Aufgaben auf dem Hof verrichten zu lassen, die er dann am Abend wie Vokabeln abfragt. Emotionen spielen hier keine Rolle. Der Alltag dreht sich um das reine Überleben.

Die junge Frau wird von ihrem Mann William mit dem Korn zum Müller Gilbert Horn geschickt. Er lebt in seiner Mühle und im Dorf ranken sich Gerüchte um ihn, er habe seine Frau und Tochter umgebracht. Mystische und unheimliche Geschichten werden im Dorf über ihn erzählt. Der Müller gehört nicht zu ihnen, so war das im Dorf schon immer und so soll es bleiben. In ihm erleben wir den Außenstehenden der geschlossenen Dorfgemeinschaft, den Fremden. Doch das Dorf braucht ihn zum Überleben, er mahlt ihr Korn. Es ist keine Tätigkeit, die von Hand verrichtet wird, wie es alle hier gewohnt sind und kennen. Er sitzt in seiner Mühle und hält die Hände in seinem Schoß, lässt den Mühlstein arbeiten. Und während der Mühlstein arbeitet, liest der Müller Bücher und schreibt, was er erlebt und beobachtet. Das ist für die Dorfbewohner befremdlich und gefährlich, sie begegnen ihm mit Hass.

In dem Stück „Messer in Hennen" befindet sich die junge Frau in dem Konflikt zwischen gewohntem „Lebensstillstand", personifiziert in ihrem Mann William, und neu entdeckter „Bewegung" in dem Fremden, Müller Gilbert Horn. Gilbert Horn ermutigt sie, ihre Beobachtungen aufzuschreiben, sie wichtig zu nehmen, sich selbst wichtig zu nehmen. Die junge Frau fängt an Fragen zu stellen. Schließlich überwindet sie ihre Angst vor dem unheimlichen Fremden und entdeckt eine für sie neue und faszinierende Welt. Aber die Situation spitzt sich zu, der Müller erscheint der jungen Frau im Schlaf, dann sogar im Wachzustand. Der Konflikt zwischen gewohntem Stillstand und dem neuen Fremden wird für sie zu einer unauflösbaren Zerreißprobe.

Der Autor

David Harrower, 1966 in Edinburgh geboren, lebt in Glasgow und zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Dramatikern Schottlands. Gleich mit seinem ersten Stück Messer in Hennen (1995) wurde er international bekannt. Das Stück gewinnt zahlreiche Preise und wird 1998 im Theater Heute als bestes ausländisches Stück veröffentlicht. Das Engagement um die neue Landverteilung in Schottland führte ihn zu intensiven Forschungen bis ins 18. Jahrhundert zurück und zur Arbeit an dem Stückprojekt »An Unwalked Land.« Aus einer Episode dieses noch unfertigen Stücks entstand »Messer in Hennen« (»Knives in Hens«), das Anfang 1995 am Traverse Theatre in Edinburgh uraufgeführt wurde. Die deutschsprachige Erstaufführung inszenierte Thomas Ostermeier, heute langjähriger Intendant der Schaubühne am Leniner Platz, im März 1997 an der Baracke des Deutschen Theater in Berlin.

Das Projekt wurde gefördert von:

Fotos aus der Aufführung

Aus der Presse

(aus rechtlichen Gründen immer nur ausschnittweise)

Frankfurter Neue Presse 21.08.2010:

„Mit 277 Vorstellungen und mehr als 25 000 Zuschauern hat das Gallus Theater im vergangenen Jahr einen großen Sprung nach vorne gemacht. Mit Höhepunkten wie der Daedalus Company will man das wiederholen."

Strandgut Juni 2010

"Die schöne Müllerin"

Das ewige Dorf und sein ewigerJude treiben einen Erkenntnisprozeß an, der durch intensive Sprache, Gesten undeine beruhigende Optik vom Start weg fasziniert. Simple Bettlaken imaginiereneine geordnete Landschaft aus Feldern und Wegen wie aus dem Flugzeug. Doch dieIdylle trügt: »Ich bin kein Feld«, lautet der erste Satz, »Das Dorf brauchteinen Müller«, der – erstmal schmunzelnd vernommene – letzte. Dazwischen liegenanderthalb aufregende Stunden."

Winnie Geipert, Strandgut Juni 2010