„Audienz / Vernissage“

Václav Havel (aus der Vanek – Trilogie)

Die Hauptfigur Vanek ist ein leiser unaufdringlicher Held, der seine Mitmenschen auch in ihrer Verbiegung akzeptiert und im Grunde für sich das Selbe vergeblich erhofft. Gerade weil Havel durch Beschreibung und nicht durch Anklage die Zustände offen legt, zeigt sich die Deformation, die Selbstzensur und vorauseilender Gehorsam bei Menschen anrichtet. Dem „Sehenden“ bleibt in einer solchen Situation oft nur Isolation, Flucht oder Wahnsinn. (Rowohlt Verlag)

Vanek, Bühnenautor und zur Existenzsicherung als Hilfsarbeiter in einer Brauerei tätig, wird zur „Audienz“ beim Braumeister gerufen. Für eine bessere Stelle als Lagerverwalter soll der Schreibprofi zukünftig Spitzelberichte verfassen. Es entspinnt sich ein umgarnendes Spiel, während dessen der Braumeister alle Mittel zum Einsatz bringt, um an sein Ziel zu kommen. Die Inszenierung überträgt die Situation in „Audienz“ auf unsere heutige Zeit und thematisiert die aktuell in der Öffentlichkeit äußerst kritisch diskutierte Videoüberwachung von Mitarbeitern bekannter Discounterketten.

Von einem befreundeten Ehepaar wird Vanek zur „Vernissage“ der neu eingerichteten Wohnung eingeladen. Eheglück, häusliche Zufriedenheit, Lebensmittel mit Biosiegel und Elternstolz werden ebenso vorgeführt wie ein barocker Beichtstuhl im Wohnzimmer und die neuesten Naturholzmöbel, alles ökologisch korrekt. Mit ungewöhnlichen Mitteln versucht das Paar, ihren Freund Vanek, den kinderlosen Künstler, Ehemann und Hilfsarbeiter, zu überreden, sich von seinen politisch unbequemen Schriftsteller- und Schauspielerfreunden zu trennen, um selbst in den Genuss dieser „Lebensfreuden“ zu kommen. Die Inszenierung nimmt kritisch Bezug auf den gesellschaftlich zu beobachtenden aktuellen Trend im Umgang mit Produktmarken und der damit verbundenen inszenierten Außendarstellung der eigenen Person. Doch schaut man unter diese politisch korrekte Fassade, entlarvt sich oft ein tiefgehender Selbstbetrug!

Die Uraufführung beider Werke fand am 09.10.1976 im Akademietheater des Wiener Burgtheaters unter der Regie von Vojtech Jasný statt.

Übersetzt wurden „Audienz“ und „Vernissage“, wie auch „Protest“, vom mehrfach preisgekrönten Satiriker Gabriel Laub.

Aufführungsrechte beim Rowohlt Verlag Reinbeck

Besetzung

„Audienz"
Braumeister,
Direktor der Brauerei
Ferdinand Vanek
Videodarsteller

 


Mario Krichbaum

Pedro Stirner
Samir Djikic,
Timo Jahn,
Mirzet Jukovic

„Vernissage"
Vera
Michael
Ferdinand Vanek

Julia Breckheimer
Björn Breckheimer
Pedro Stirner
 
Regie
Ausstattung
Licht
Sound
Dramaturgie
Video
PR
Fotos

Regina Busch
Laura Robert
Jan Hartmann
Frank Marheineke
Lynnette Polcyn
das Regieteam
Christiane Köppe
Frank Marheineke

Václav Havel  (1936 - 2011)

war tschechischer Schriftsteller und Politiker und entstammte einer einflussreichen Prager Großbürgerfamilie. Mit Beginn der kommunistischen Regierung wurde die Familie im Februar 1948  enteignet. Havel durfte nach Beendigung der Schulpflicht 1951 keine weiterführende Schule besuchen. Er arbeitete als Assistent in einem Chemielabor und schloss seine sekundäre Ausbildung in einer Abendschule ab. Nebenbei arbeitete er als Taxifahrer, um sich die Abendschule zu finanzieren. Nachdem er aus politischen Gründen an keiner geisteswissenschaftlichen Fakultät zugelassen war, studierte er vorübergehend für zwei Jahre Wirtschaft. Nach weiteren zwei Jahren Militärdienst wurde er Bühnentechniker in zwei kleinen Prager Theatern, wo im „Theater am Geländer“ auch seine ersten Stücke wie „Das Gartenfest“ aufgeführt wurde. Seit seinem 20. Lebensjahr schrieb Havel Artikel für Literatur- und Theaterzeitschriften. Seine Bühnenstücke und Artikel stehen in der Tradition des absurden Theaters und prägten die Atmosphäre, die 1968 zum Prager Frühling führte, entscheidend mit. Einige berühmte Theaterstücke Havels aus dieser Zeit sind etwa „Das Memorandum“ (1965) oder „Erschwerte Möglichkeit der Konzentration“ (1968), das aus der Abschlussarbeit seines Fernstudiums an der Theaterfakultät in den Jahren 1962 bis 1966 hervorgegangen war. 1967 erregte Havel auf dem IV. Schriftstellerkongress in Prag erstmals politisch Aufsehen, indem er die Zensur und die Absurdität des Machtapparates der kommunistischen Partei öffentlich kritisierte. Havel war während der Herrschaft der kommunistischen Partei ein führender Regimekritiker der Tschechoslowakei. Und im Jahre 1977 einer von drei Initiatoren der Charta 77, in dieser Zeit wurde Havel dreimal verhaftet und verbrachte insgesamt etwa fünf Jahre im Gefängnis. Nach 1968 hatte Havel in der Tschechoslowakei Aufführungs- und Publikationsverbot, doch seine Werke wurden in dieser Zeit fast vollständig im Rowohlt-Verlag in Deutschland publiziert. 1989 wurde er wegen „Rowdytum“ verhaftet, weil er auf eine Gedenkfeier von Jan Palach zum 20. Jahrestag seiner Verbennung gehen wollte und musste für neun Monate unter verschärften Bedingungen als Wiederholungstäter in Haft. Deshalb konnte er im selben Jahr nicht seinen in Frankfurt an ihn verliehenen Friedenspreis des deutschen Buchhandelns entgegen nehmen, Maximilian Schell verlas seine geschriebene Dankesrede. Für die deutsch-tschechische Aussöhnung galt er als Wegbereiter und war eine zentrale Figur in der von Studenten und Künstlern getragenen sogenannten Samtenen Revolution. Er gilt als führender Vertreter der Revolution von 1989, führte das Land am 5. Juli 1990 zu freien Wahlen und wurde 1989 zum Staatspräsident der Tschechoslowakei gewählt, in der Funktion er auch bis zum Jahre 1992 blieb. 1993 bis 2003 war er Präsident der Tschechischen Republik. Er war Mitglied in der Schriftstellergemeinde Obec spisovatelu und Ehrenmitglied im Club of Rome.

Havel erhielt für sein literarisches und politisches Schaffen zahlreiche Preise und Ehrungen. Er wurde mehrere Male, zuletzt 2004, für den „Friedensnobelpreis“ vorgeschlagen. Dieser wurde ihm jedoch nicht zugesprochen.

Das Projekt wurde gefördert von:

Fotos aus der Aufführung

Fotos: Frank Marheineke

Aus der Presse

(aus rechtlichen Gründen immer nur ausschnittweise)

Frankfurter Neue Presse, 6. Mai 2013

„Menschen, die man Freunde nennt”

Die Daedalus Company und Regina Busch setzen mit „Audienz Vernissage" ihre Vaclav-Havel-Trilogie im Gallus Theater fort.

Regisseurin Regina Busch zeigt in gut getimeten, wiederkehrenden (hohlen) Floskeln nicht nur die Absurdität, sie spürt auch die feine Bissigkeit Havels auf, wenn sie die Sitzgelegenheiten um- und auseinanderkippen lässt, nachdem gesagt wurde „Wir denken, dass der Mensch so lebt, wie er wohnt." In „Audienz" sitzt Ferdinand Vanek seinem Chef gegenüber. Und da dieser Braumeister (Mario Krichbaum) ist, ploppen zunächst die Bierflaschen auf, dass es eine Freude ist und jedes Aufploppen für Lacher sorgt.

Astrid Biesemeier, FNP

Strandgut Juni 2013

„Politischer Lackmustest”

Daedalus Company spielt im Gallus-Theater Vaclav Havel

Wenn Ferdinand Vanek seine Mitmenschen trifft, geht es ihm wie Dostojewskis Idioten. So wie Fürst Myschkin mit seiner unwiderstehlichen Gutherzigkeit die Aggressionen auf sich zieht, so stürzt der schlichte und wortkarge Auftritt des oppositionellen Außenseiters, ohne dass er dies bezweckte, seine Gegenüber regelmäßig in peinliche Nöte und entblößt sie beschämend ... Regina Busch hat mit ihrer Daedalus Company nach Protest« (SG 11/2012) nun die zwei anderen Teile der Vanek-Trilogie inszeniert. Dieses Mal gibt Pedro Stirner den so grauen unscheinbaren Antihelden, der die Katastrophen, die er unwillentlich auslöst, kommen sieht und gerne vermeiden würde. Sein gedrosseltes Spiel mit Fluchtaugen-Blick überlässt seinen Partnern bereitwillig die Bühne – zur Blamage. Mario Krichbaum gelingt das als Braumeister besonders gut: Laut und leicht vulgär entpuppt sich sein Protz im knallgelben Aufschneider als kläglicher Hanswurst, während die tatsächlich verheirateten Lockrufer Julia und Björn Breckheimer als Eva und Michael wie konditionierte Kunstfiguren aus einem Future-Film am Rande des Slapsticks agieren. Buschs Versuch, die Vanek-Trilogie zu aktualisieren und enttschechoslowakisieren, gelingt vor allem dort, wo es um Korrumpierbarkeit und Opportunismus geht.

Winnie Geipert